Die Prioritätenreihenfolge wirtschaftspolitischer Ziele im Hinblick auf den Wirtschaftsraum BRD-DDR

Inhalt

Der Artikel basiert auf einem Vortrag an der FH Aachen im Mai 1990.

1. Einführung

1.1. Thema und Vorgehen

Das Thema wird hier fokussiert als Zielprioritäten im Hinblick auf die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion als Vorstufe der wirtschaftlichen und staatlichen Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Dabei erfolgt eine Konzentration nicht auf theoretische Ziele und Rangordnungen, sondern auf die Ziele und Probleme bei der Herstellung der deutschen Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, sowie ihre Gewichtung unter Prognosen und unsicheren Erwartungen, weil sich darin die Realprobleme wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Handelns beispielhaft zeigen lassen.

Es geht um die Analyse der mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion verbundenen Zielsetzungen und Probleme, als exemplarische Einführung in die Grundzüge der Theorie der Wirtschaftspolitik. Erarbeitet werden sollen dann auch die Legitimation wirtschaftspolitischer Ziele, Arten von Zielen und Zielbeziehungen. Am praktischen Beispiel der BRD-DDR-Wirtschaftsunion sollen Operationalisierung, Akteure und typische Zielkonflikte erläutert werden
Es handelt sich um einen komprimierten Überblick, etwa wie er zu Beginn eines Kurses zur Wirtschaftspolitik als Einführung gegeben werden könnte.

Erwartete Voraussetzungen der Studenten/innen: (mindestens Abschluss des Grundstudiums, gute Kenntnisse in Mikro- und Makroökonomie)
Jedes Unterthema gliedert sich in eine kurze theoretische Skizzierung und eine problemorientierte Darstellung der praktischen Situation.

1.2. Das Problem der wirtschaftlichen Vereinigung der beiden deutschen Staaten
Es geht um die wirtschaftliche (Wieder-) Vereinigung, also die Bildung eines internen deutschen Binnenmarktes, aber vor einem ganz anderen Problemhorizont als in der EG. Liegen dort unterschiedliche Nationen, Sprachen, Rechtsordnungen und Wirtschaftsstrukturen vor, gehören alle Länder zum gleichen Wirtschaftssystem: Marktwirtschaft.

Im Fall Bundesrepublik – DDR handelt es sich um Wirtschaftsräume zweier verschiedener Wirtschaftssysteme bzw. -ordnungen und verschiedener Wirtschaftsgemeinschaften. Nach 40 Jahren getrennter Entwicklung existieren erhebliche Unterschiede bei allen relevanten Elementen des Wirtschaftssystems; ideologisch diametrale Gesellschaftssysteme verstärken die Unterschiede. Zudem hat die Integration in die Wirtschaftsgemeinschaft des Ostens, den RGT, zu einer weitgehenden Abschottung der DDR vom freien Weltmarkt geführt.

Die Konsequenzen zeigen sich in der Produktionsstruktur Produktqualität, der Art der Faktorallokation, in Form und Ergebnis der Distribution; ferner in den Handelsströmen, anderen Managementformen usw., vor allem in Effizienz, Produktivität, Motivation und Wirtschaftsmentalität. Daraus ergeben sich spezifische Problemlagen und entsprechende Zielsetzungen in Bezug auf die wirtschaftliche Vereinigung.

Das Ziel der Vereinigung der beiden Wirtschaftsräume vor dem historischen Hintergrund und dem angestrebten Tempo ist insofern einzigartig; gleichwohl kommen dabei wirtschaftspolitische Ziele zum Tragen, wie sie sich auch im alltäglichen Handeln der wirtschaftspolitischen Akteure wiederfinden lassen.

2. Der Wirtschaftsraum BRD-DDR

2.1. Charakteristika von Wirtschaftsräumen

Wirtschaftsräume lassen sich definieren als geographische Abgrenzungen von Regionen, Staaten oder überstaatlichen Gebieten, in denen die wirtschaftliche Aktivität einer bestimmten Anzahl von gemeinsamen Merkmalen und Rahmenbedingungen unterliegt (Wirtschaftsordnung als institutioneller /struktureller Rahmen).

Dazu gehören Merkmale wie:
– geographische Nähe, vergleichbare räumliche und verkehrstechnische Bedingungen
– gleichartige Wirtschaftsordnungen/Wirtschaftssysteme
– verwandte Koordinationsmechanismen – keine oder nur wenige Schranken für wirtschaftlichen Austausch, unbehinderte Waren-, Arbeits- und Kapitalbewegungen
– abgrenzbare ökonomische Merkmale gegenüber anderen Räumen

Bei verschiedenen Staaten ferner: Handelsabkommen und enge Lieferverflechtungen untereinander, keine oder nur niedrige Zölle, u.U. gemeinsame Zölle gegenüber dritten Ländern, u.U. Währungsvereinbarungen oder gemeinsam regulierte Wechselkurse.

Üblicherweise umfassen Wirtschaftsräume Teilregionen eines Staates, oder benachbarte Grenzregionen. Supranational können bei Anlage eines strengen Maßstabs wohl nur Wirtschaftsgemeinschaften oder Handelszonen wie die Benelux-Länder, EG, RGT oder die EFTA als Wirtschaftsräume gesehen werden, In der Diskussion wird der Begriff aber auch weniger streng ausgelegt, etwa gegenüber den Industrieländern und den sich industrialisierenden Ländern im Großraum Süd-Ost-Asien.

2.2. Besonderheiten des Wirtschaftsraums BRD-DDR

Aufgrund der historischen Entwicklung wurde das Deutsche Reich und der von ihm gebildete Wirtschaftsraum nach dem 2. Weltkrieg geteilt, Durch die schrittweise Integration der Westzonen in den Wirtschaftsaustauch mit den westlichen Industrieländern, den Marshallplan und die DM-Währungsreform sowie die Orientierung der Wirtschaft der sowjetischen Zone an den Bedürfnissen der UdSSR (z.B. Reparationen) setzte eine Auseinanderentwicklung bereits vor der Gründung der beiden Staaten (1949) ein. Wegen der unterschiedlichen Systemzugehörigkeit bestehen zur Zeit nicht die ökonomischen Voraussetzungen für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum, zumal der wirtschaftliche Austausch beschränkt ist.

Anders als in der EU liegt aber wegen der staatlichen Einheit eine gemeinsame Wirtschaftsentwicklung bis ca. 1947/48 vor. Bis dahin wies das Gebiet der späteren DDR sehr ähnliche sektorale Strukturen auf; ähnliche Qualifikationsstrukturen und Mentalitäten als Ausdruck der gemeinsamen Kultur finden sich noch heute, was die künftige wirtschaftliche Union – bei allen ökonomischen Schwierigkeiten sicher einfacher macht als die weitere wirtschaftliche Einigung Europas. Es handelt sich eher um die Wiederherstellung eines bis vor 45 Jahren bestehenden gemeinsamen Wirtschaftsraumes, und zwar als unmittelbare Vorstufe der staatlichen Wiedervereinigung.

Die Besonderheiten liegen vor allem im Versuch der sehr raschen Transformation der DDR und ihrer zentralen Planwirtschaft in eine föderative, soziale und demokratische Marktwirtschaft, durch Übernahme der bundesdeutschen Wirtschaftsordnung, um sie mit der BRD zu einem Wirtschaftsraum zu verschmelzen. Für diesen Vorgang fehlt ein historisches Vorbild.

Die zentralen Unterschiede der Wirtschaftsordnungen von DDR und BRD, aus denen sich die Ziele für den Prozess der Wirtschaftsunion ( Abschnitt 4.1.und 4.2.) herleiten lassen, bestehen in:
• Eigentumsverhältnissen
• Koordination, Information und Anpassung
• Preisbildungsentscheidungen
• Verteilung
• Tarifsystem, Arbeitsmarkt
• Außenhandel und Währung
• Rolle von Staat und Politik

Stichworte dazu für die DDR sind: autoritäre zentralistische Planwirtschaft, Kollektiveigentum, andere sozialistische Rechtsordnung, Integration in den RGW, also die östliche Wirtschaftsgemeinschaft mit anderen Formen internationaler Arbeitsteilung und nichtkonvertiblen Währungen ,keine Steuerung über Märkte und Preise, sondern mittels Planbilanzen, Mengenvorgaben, Devisenbewirtschaftung, eher Mangelwirtschaft mit niedriger Produktivität, Effizienz und Produktqualität.

Die ökonomischen Verflechtungen mit den jeweiligen bisherigen Wirtschaftsgemeinschaften sind wesentlich größer als von BRD und DDR untereinander.

3. Wirtschaftspolitische Ziele bezüglich der Wirtschafts- und Währungsunion

3.1. Ziele und Zielbeziehungen in der Wirtschaftspolitik

Ziele der Wirtschaftspolitik können definiert werden als die angestrebten Zustände (Sollwerte) quantitativer wirtschaftlicher Variablen oder qualitativer Normen. Letztlich geht es dabei die Frage nach dem Ziel des Wirtschaftens als menschliches Handeln. Mit der Begründung wirtschaftlicher Ziele sowie der dabei auftretenden Werturteilsprobleme und den Schwierigkeiten der Nutzen- und Präferenzbildung befassen sich die Theorie der Wirtschaftspolitik und die Wohlfahrtsökonomik.

Als grundlegende Ziele gelten:
– Sicherung der materiellen und sozialen Existenz
– ökonomische Freiheit und Verteilungsgerechtigkeit
– Bedarfsdeckung und Verbesserung der materiellen Lebensverhältnisse

Gedacht werden sie als Teilziele oder Zwischenziele umfassenderer gesellschaftspolitischer Zielsetzungen. Sie gehen auf Basisannahmen im Rahmen des europäischen bzw. westlichen Menschen- und Gesellschaftsbildes zurück, wonach im „pursuit of happiness“, d.h. dem Streben nach individuellem Glück eins der wichtigsten Ziele menschlichen Tuns zu sehen ist.

Die Makroökonomie bzw. die Wohlfahrtsökonomie übersetzt das als Maximierung des individuellen Nutzens unter Nebenbedingungen und als Maximierung des gesellschaftlichen Nutzens auf der Basis der individuellen Präferenzordnungen und Nutzenvorstellungen sowie Entscheidungsfreiheiten. Als Denkmodell wird in der Regel eine gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktion (etwa Z = A+B+C+D+E entworfen, in der A bis E ökonomische Indikatoren oder Teilziele symbolisieren) entworfen; wobei als Ziel des Wirtschaftens und der Wirtschaftspolitik dann die Maximierung der Funktion unter bestimmten Nebenbedingungen gesehen wird.

Im modellhaften Idealbild wird das gesellschaftliche Nutzenmaximum dann erreicht, wenn ökonomische Änderungen zu keiner Erhöhung des individuellen Nutzens bzw. Senkung der Kosten mehr führen, also eine nicht mehr verbesserbare Situation, d.h. eine gesellschaftlich optimale Allokation und Produktion (Paretooptimum) vorliegt.

Erwähnenswert ist das hier, weil die postulierte Überlegenheit marktwirtschaftlicher Systeme u.a. damit begründet wurde und wird, dass sie aufgrund ihrer Konstruktion, via ökonomischer Entscheidungsfreiheit (Konsumenten- und Produzentensouveränität), freier Preisbildung auf Konkurrenzmärkten und hoher Effizienz diesem idealem “Optimum“ nahe kommen.

In der wirtschaftlichen Realität verfolgen die wirtschaftspolitischen Akteure eine Vielfalt von Zielen. Sie lassen sich nach folgenden Merkmalen systematisieren:

a) Zielfindung (Herkunft und Legitimierung)
b) Zielarten
c) Träger/Akteure
d) Zielbeziehungen
e) Zieldurchsetzung und Zielrealisierung
zu a) Zielfindung/Herkunft von Zielen

Darauf wurde oben schon eingegangen. Normativ umgesetzt haben sich dle skizzierten Basisziele bei uns in den entsprechenden Artikeln des Grundgesetzes (z.B. Eigentumsgarantie in Art. 14, Berufsfreiheit in Art. 12 , Koalitionsfreiheit in Art. 9) und in einer Reihe von weiteren Gesetzen, so u.a. im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1966 und im Bundesbankgesetz.

Darüber hinaus erfolgt die Legitimation wirtschaftspolitischer Ziele in unserem System repräsentativer Demokratie durch Verfahren im Rahmen der Gesetzgebung der demokratisch gewählten Parlamente und den von Ihnen installierten Regierungen sowie Verwaltungen, die mit der genaueren Festlegung und Operationalisierung von Zielsetzungen betraut werden.

Für marktwirtschaftliche Systeme wird davon ausgegangen, dass sich Bedarfsdeckung und Präferenzrealisierung in hohem Maße ohne weitgehende politische Einflussnahme – über Kauf-, Produktions- und Verteilungsentscheidungen auf den verschiedenen Märkten des ökonomischen Systems vollziehen. (Entlastung der Politik, anders als in der Planwirtschaft). Der Staat, genauer: die Wirtschaftspolitik, hat für die Einhaltung des Ordnungsrahmens, d.h. der marktwirtschaftlichen Regeln und Voraussetzungen, die Infrastruktur und die Bereitstellung einer Reihe von öffentlichen Gütern, die makroökonomische Stabilisierung des dynamisch labilen Wirtschaftsprozesses sowie die soziale Absicherung zu sorgen; natürlich auch für die Finanzierung der staatlichen Ausgaben.

b) Arten von Zielen

Ziele der Wirtschaftspolitik lassen sich nach Arten unterscheiden:
1 übergeordnete Zielsetzungen, wie oben skizziert Bedarfsdeckung, ökonomische Freiheit)
2 Ordnungs- oder Systemziele, die der Funktions- und Leistungsfähigkeit der Wirtschaft dienen (Allokation Produktion, Distribution, Effizienz)
3 Prozessziele, die Vorgaben für die Steuerung des Wirtschaftsablaufes darstellen (wie im StabG, s. unten)
4 andere funktionale Ziele, die auf die Beeinflussung bestimmter ökonomischer Variablen oder Zusammenhänge wie Struktur-, Regional- oder Technologie- und Innovationspolitik abstellen
5 Verteilungsziele, die zwar schon unter 2 enthalten sind, aber als die Ziele, die potentiell am konfliktträchtigsten sind und von den privaten Akteuren (Gewerkschaften bzw. Arbeitnehmern und Unternehmen) sehr hoch gewichtet werden. besonders hervorgehoben werden müssen

c) Zielbeziehungen und Zielkonflikte

Nach Prioritäten können Haupt- und Nebenziele unterschieden werden. Wegen der Interdependenzen zwischen ökonomischen Größen bestehen zwischen wirtschaftspolitischen Zielen funktionale Zusammenhänge, die verschiedene Formen annehmen können:
Zielidentitäten
Zielharmonien (positive wechselseitige Beziehung)
Zielkonkurrenzen (Ziele sind nur bedingt miteinander vereinbar)
Zielkonflikte/ Antinomien (entgegengesetzte, unverträgliche Ziele)
Zwischenzielbeziehungen (Instrumentalcharakter für andere Ziele)
ausdrücken. Vor allem Zielkonkurrenzen und Zielkonflikte sind kennzeichnend für Schwierigkeiten der Wirtschaftspolitik, in der praktischen Zielverfolgung eine optimalen Kombination des Einsatzes ihrer Instrumente zu realisieren, wie sich im Abschnitt 4 zeigen wird. Ein anderer Typ von Konflikten über Ziele tritt auf, wenn Träger der Wirtschaftspolitik unterschiedliche Prioritäten setzen.

Zu d) Träger: Akteure der Wirtschaftspolitik

Die wesentlichen Träger und Akteure der Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik sind:
– Regierungen (Parlamente/Parteien, Administrationen) in Bund, Ländern und Kommunen
– Bundesbank als Zentralbank mit besonderen Kompetenzen in der BRD
– Tarifparteien (Gewerkschaften und Unternehmen bzw. Unternehmensverbände)
– Verbände und Interessengruppen, Medien (wegen ihrer Beeinflussung der
politischen Entscheidungsprozesse).
– In wachsendem Maße ist die EG-Kommission hinzuzurechnen, weil ihr zunehmend
wirtschaftspolitische und gesetzgeberische Kompetenzen übertragen werden.

Zu e) Zieldurchsetzung und -realisierung
Das umfasst die Kompetenzen, Instrumente und Machtpotentiale, die den wirtschaftspolitischen Akteuren z.B. in der Konjunktur, Geld- oder Verteilungspolitik zur Erreichung ihrer Ziele zur Verfügung stehen. Vor allem hier treten – vorwiegend – verteilungspolitische Konflikte zwischen den Beteiligten auf.

3.2. Ziele und Akteure der Wirtschaftspolitik bei der Vorbereitung der Wirtschafts- und Währungsunion von BRD und DDR

Die generelle Zielsetzung im thematischen Zusammenhang ergibt sich aus – dem verfassungsrechtlichen in der Präambel des Grundgesetzes fixierten und politisch nahezu einhellig verfolgten – Ziel der Wiedererstellung der staatlichen Einheit von Bundesrepublik und DDR.

Den westdeutschen Regierungen ist das Ziel damit praktisch vorgeschrieben. Gefragt werden muss aber, wie sich diese Absicht in operationale Ziele umsetzt und wie die Beteiligten, vor allem die Regierungen, die vorhandenen Entscheidungsspielräume nutzten. Wie die eigenen politischen Interessen der beteiligten Akteure einfließen; wird in der Betrachtung der jeweils gesetzten Prioritäten deutlich werden.

Zu beachten ist, dass es nicht nur um den ökonomischen und politischen Weg zur Union geht; sondern dass ein sehr starker Handlungsdruck durch die Abwanderung von DDR-Bürgern in die BRD ausgelöst worden ist, mit hohem Druck auf Länder, Bund und Kommunen. Auch wahlpolitische Überlegungen dürften eine Rolle spielen.

Bevor die Prioritätensetzung erörtert wird, soll auf die wesentlichen Beteiligten und Ihre Basiszielsetzungen eingegangen werden. Da es bei den Vorbereitungen zur Wirtschafts- und Währungsunion um den Abschluss eines Staatsvertrages zwischen DDR und BRD sind die Regierungen die eigentlichen Akteure, nur sekundär die Parteien und Parlamente (Ratifizierung in den Parlamenten). Dabei haben die Regierungsparteien die Chance, ihre Ziele unmittelbar einzubringen, während Oppositionsparteien nur der Weg über Medien/ Öffentlichkeit und kontroverse Stellungnahmen im Parlament bleibt.

Eine stärkere Position hat die Bundesbank, wegen ihres autonomen Status und ihrer gesetzlichen Aufgabenstellung (Währungssicherung). Allerdings ist sie auf die Unterstützung der Wirtschaftspolitik der Regierung verpflichtet
Nur sekundär werden auch Ziele der einzelnen anderen Akteure der Wirtschaftspolitik und die der nichtstaatlichen Akteure, also der Interessengruppen, Verbände, Unternehmen Gewerkschaften betrachtet
Die westdeutsche Regierung – und damit die Koalitionsparteien – haben im Staatsvertragsentwurf das Angebot einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion unter bestimmten Voraussetzungen gemacht, und damit ihre Prioritäten (4.2.) benannt. Nach der Volkskammerwahl und Verhandlungen hat die neue DDR-Regierung dem Vertragsentwurf mit einigen Änderungen zugestimmt.

Das generelle Ziel der Wirtschafts- und Währungsunion ist die Transformation des bisherigen Systems der Planwirtschaft in eine soziale Marktwirtschaft nach dem Modell der BRD, praktisch als identische Übernahme der rechtlichen und organisatorischen Elemente der westdeutschen Wirtschafts- und SoziaIordnung.
Nach der Grundsatzentscheidung für die Währungsunion als Vorstufe für einen Beitritt der DDR gemäß Art. 23 GG ergeben sich zur Bewältigung des – weil ohne historische Vorbilder – schwierigen Übergangs zahlreiche Detailziele, die sich auf die Übernahme der zentralen Elemente der westdeutschen Wirtschaftsordnung beziehen Übergangsregelungen vorsehen und Vorsorge für die entstehenden Kosten und Probleme schaffen müssen. Dabei sind auch gesetzliche Vorgaben, wie etwa das Gebot gleicher regionaler Lebensverhältnisse (GG Art 106, IV), weitere Gesetze (StabG, Bundesbankgesetz, Kartellrecht) und die ökonomischen Funktionszusammenhänge, d.h. die Auswirkungen der Union auf den westdeutschen Wirtschaftsprozess, zu beachten.

Rechtlich (Art.146 GG) und ökonomisch hätten sich auch andere Lösungen angeboten, so der von Wirtschaftswissenschaftlern und SPD favorisierte stufenweise Reform- und Angleichungsprozess von DDR- und BRD-Wirtschaft, an dessen Ende erst die Währungsunion gestanden hätte. Offensichtlich unter dem Druck der Abwanderung aus der DDR, dem drohenden Zusammenbruch von Teilen der Wirtschaft im Osten, sowie den ökonomischen Folgen der Übersiedlung in der BRD (Kosten), hat die Bundesregierung eine schnelle Lösung vorgezogen, Dabei hat der Blick auf die Wahlen dort wie hier sicher auch eine Rolle gespielt. Fraglich ist zudem, ob man dem Druck fortgesetzter Abwanderung lange standgehalten hätte, zumal noch nicht klar ist, ob die Währungsunion die Übersiedlung wirklich stoppen kann.

Die Bundesbank als anderer wichtiger Träger staatlicher Wirtschaftspolitik hat der Unionslösung zunächst noch zögerlich gegenübergestanden und vor dem jetzt vorgesehenen Umstellungskurs von 1:1 bei den monetären Aktiva gewarnt. Erst nach der eindeutigen politischen Entscheidung der Regierung hat sie ihre Position korrigiert, aber unter sehr deutlichen Hinweisen auf die möglichen Probleme des Preis- und Zinsanstiegs. Damit ist klar, dass für die Bundesbank weiterhin, so wie das Gesetz es befiehlt, die Sicherung der Preisstabilität Priorität besitzt, und sie vor dem Hintergrund der hohen westdeutschen Kapazitätsauslastung nur eine begrenzte zusätzliche Geldmengenausweitung tolerieren wird.

Die Bundestagsopposition hat, wie erwähnt, die politische Zielsetzung der schnellen Herbeiführung der Union zunächst bekämpft, unter Hinweis auf die zu erwartenden Probleme, aber auch unter politischen Erwägungen, weil sie sich Optionen auf GG-Änderungen per Art. 146 erhoffte. Befürwortet wurden Wirtschaftsreformen in der DDR, um so die Voraussetzungen für die Konkurrenzfähigkeit der DDR- Wirtschaft gegenüber dem – mit der Währungsunion unmittelbar einsetzenden internationalen Wettbewerb – zu verbessern. Weil sie aber die Union nicht verhindern konnte, hat sie sich jetzt auf Ziele der sozialen Absicherung in der DDR (Arbeitsmarkt, Rentensystem), die Folgeprobleme und die noch zu regelnde Lastenverteilung in der Bundesrepublik konzentriert, einerseits, weil das ihrem traditionellen Parteiprofil entspricht, andererseits wohl wegen taktischer Vorteile bei den anstehenden Wahlen
Auch die Bundesländer als indirekt Beteiligte haben sich besorgt über die Folgelasten geäußert, weil die Regierung via Länderfinanzausgleich und Neuregelung der Umsatzsteuerverteilung einen Teil der Kosten auf die Länder abwälzen möchte.

Gewerkschaften und Unternehmen haben zwar die Herstellung der Wirtschaftseinheit begrüßt, jedoch ihrer grundsätzlichen Interessenposition entsprechend einerseits auf die sozialen Probleme des Übergangs, das zu erwartende Lohngefälle und die Konsequenzen für den Arbeitsmarkt hingewiesen (Gewerkschaften) o der Forderungen in Bezug auf bestimmte Einzelziele wie Mitbestimmungsregelungen (Gewerkschaften) oder Private begünstigende Eigentumsregelungen, freien Kapitalverkehr, ein hohes Ausmaß an unternehmerischer Freiheit und Abschaffung des von der Übergangsregierung verabschiedeten Gewerkschaftsgesetzes (Unternehmensverbände) geltend gemacht. Am Übergangsprozess sind sie nicht direkt beteiligt, es ist aber zu erwarten, dass die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP die Interessen ihrer Klientel berücksichtigen werden.

In der DDR ist wegen des Zusammenbruchs des alten Regimes die neugebildete Koalitionsregierung als einziger relevanter Akteur zu betrachten. Auch hier besteht – zumindest seit Abschluss des dortigen Koalitionsvertrages – Einigkeit über das Ziel der schnellen Herbeiführung der Wirtschafts- und Währungseinheit, nicht zuletzt, um den befürchteten Zusammenbruch großer Teile der DDR-Wirtschaft zu verhindern. Vor der Wahl hat die Ost-SPD dieselbe Position wie die West-SPD eingenommen, sich also für einen langsameren Übergang nach Art. 146 GG mit verfassungsrechtlichen Neuordnungen ausgesprochen.

Insofern liegen nach anfänglichen Unterschieden in Bezug auf Formen und Geschwindigkeit des Prozesses der Bildung der Wirtschaftseinheit, je nach den politischen Lagern, inzwischen gleiche Grundzielsetzungen vor. Es bestehen aber Differenzen über die Einzelheiten der zu treffenden Regelungen.
Auf die Notwendigkeit zur Beteiligung der EG soll hier nur hingewiesen werden, sowohl Kommission als auch EG-Partner sind betroffen. Einmal wird der Wirtschaftsraum der EG durch die Einbeziehung der DDR ausgedehnt, zum anderen geht es darum, die Frage nach der Anwendung von EG-Regeln im Bereich Zölle, Landwirtschaft und Wirtschaftshilfen der EG zu klären. Der Dubliner Gipfel hat gezeigt, dass dies ohne schwerwiegende Konflikte möglich erscheint.

Damit sind die Einzelzielsetzungen genannt. In 4.2. wird dargestellt, welche Prioritäten bei den Einzelzielen gesetzt werden und welche Konflikte und Probleme dabei auftreten, Zuvor noch ein kurzer Blick auf Aussagen zu Zielprioritäten ganz generell.

4. Die Prioritätenreihenfolge wirtschaftspolitischer Ziele bei der wirtschaftlichen Vereinigung von BRD und DDR

4.1. Wirtschaftspolitik und Prioritätenbildung

Wie oben angedeutet, setzt die ökonomische Theorie bei der Definition und Gewichtung von Zielen an den individuellen Präferenzen und Nutzenvorstellungen an. Folgt man der Wohlfahrtstheorie, ist oberstes Ziel die Maximierung der gesellschaftlichen Nutzen- bzw. Wohlfahrtsfunktion.
Allerdings wird die Frage der Bewertung und Gewichtung und der Bündelung von Präferenzen vor allem wegen der offenen Werturteilsfrage nicht befriedigend beantwortet. Aus der theoretischen Diskussion über die gesellschaftliche Wohlfahrt lassen sich deswegen keine unmittelbaren Handlungsanleitungen ableiten. Vielfach ist deswegen die Maximierung der Wohlfahrt auf die Steigerung des Bruttosozialproduktes verkürzt worden. Allerdings hat die Forschungsarbeit zu sozialen Indikatoren mit ihren Operationalisierungsbemühungen handhabbare Alternativen aufgezeigt.
In praxi wird das politisch und ökonomisch entschieden, nämlich durch den politisch definierten gesetzlichen Rahmen, die parlamentarisch legitimierte Wirtschaftspolitik und das ökonomische Handeln von Unternehmen, Arbeitnehmern und Konsumenten (dezentral, wie es zur Marktwirtschaft gehört).

Im Einzelnen ergeben sich die Prioritäten praktischer Wirtschaftspolitik:

a) aus den gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben. Verfassungsrechtlich sind vor allem relevant: Eigentumsgarantie, Sozialbindung, Berufs- und Niederlassungsfreiheit, Tarifautonomie, Vertragsfreiheit, Sozialstaatsgarantie, Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, wobei die Interpretation Regierungen und Parlament weitgehend überlassen bleibt.
Überstaatliche Ziele aus Völkerrecht und zwischenstaatlichen Verträgen, in diesem Zusammenhang, z.B. aus GATT, IWF und EG- Verträgen, sind zu beachten.

Zu den wichtigsten gesetzlichen Vorgaben gehören das STABG, das Vorgaben für Preisstabilität, Wachstum, Beschäftigung und außenwirtschaftliches Gleichgewicht enthält, das Wettbewerbs- und Kartellrecht (Konkurrenzerhalt, Marktpreise), das Haushaltsrecht (Begrenzung der Kreditaufnahme, und die Arbeitsförderung u.a.

b) aus den Zielen der Regierung bzw. der regierenden Parteien/Koalition, d.h. den speziellen Interessen der handelnden, beteiligten Akteure, die sich Im Wesentlichen aus den politischen Grundhaltungen und Leitsätzen der jeweiligen politischen Ausrichtung ableiten. Für die Koalition in Bonn heißt das z.B.: ausgeprägte marktwirtschaftliche Orientierung, die Betonung unternehmerischer Freiheit, soziale Absicherung nach dem Subsidaritätsprinzip, möglichst wenig Einmischung des Staates in den Wirtschaftsablauf und niedrige Staatsquote.
Die Position der SPD lässt sich stichwortartig mit Betonung der sozialen Absicherung durch staatliche Vorsorge, eine stärkere Steuerung der Wirtschaft durch staatliche Maßnahmen, Demokratisierung der Wirtschaft, Verstärkung der progressiven Einkommensbesteuerung, und aktive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik umreißen.

Ähnliches gilt für das DDR-Parteienspektrum; die konkreten wirtschaftspolitischen Ziele ergeben sich jeweils aus den Grundpositionen der Parteien.

c) ökonomischen gesetzmäßige/funktionale Handlungsnotwendigkeiten, vor allem aus Zielabhängigkeiten, Zwischenzielen oder zeitlichen Ablaufzusammenhängen). Beispielhaft seien dafür genannt, weil sie auch bei der Währungsunion zur Geltung kommen:
– Erhalt funktionierender Unternehmen und Märkte
– Konkurrenzfähigkeit der Volkswirtschaft (Produktivität)
– Verteilungsgerechtigkeit, besser gesagt: sozialer Frieden, also eine Verteilung, die mehrheitlich akzeptiert ist.
– Fiskalziele: Steuereinnahmen, Defizitbegrenzung

d) aktuellen Problemlagen (z.B. Konjunktur-, Struktur-, Regionalproblem, etc.)
Akteure wie Gewerkschaften, Parteien, Opposition, andere Interessengruppen (in beiden Wirtschaftsräumen), oder z.B. die westdeutschen Unternehmen setzen eigene Prioritäten. Die Betrachtung der verschiedenen Ziele erlaubt die Identifikation möglicher Konfliktpotentiale, die für die Wirtschaftspolitik die Zielrealisierung verzögern oder gefährden.

Im Rahmen des Systemwechsels handelt es sich bei den hier relevanten Zielen auf die DDR bezogen um Ordnungsziele und funktionale problemorientierte Ziele. Wie soll der Systemübergang unter Beachtung der bundesdeutschen Normen und Rahmenbedingungen realisiert werden? Wie kann die Erreichung der Integration unter Minimierung der Kosten und Übergangsprobleme so schnell wie möglich gesichert werden?

In Bezug auf die BRD sind von den Akteuren die gesetzlichen Ziele zu beachten, die den Charakter von Nebenbedingungen annehmen, etwa wirtschaftliche Haushaltsführung (Kostenbegrenzung), Lastenverteilung und Inflationsvermeidung.

4.2. Zielprioritäten und Zielkonflikte der praktischen Wirtschaftspolitik in Bezug auf die Wirtschafts- und Währungsunion

Das Oberziel für die Wirtschaftspolitik im Hinblick auf das Verhältnis von DDR und BRD besteht in der Vorbereitung der staatlichen Vereinigung durch eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Mit der vorgesehenen Übernahme des westdeutschen “Modells” ist die Grundsatzentscheidung für die Abschaffung der Planwirtschaft und die Einführung der sozialen Marktwirtschaft gefallen. Alle weiteren Ziele leiten sich als nachgeordnete daraus ab. Das Motiv für den raschen Systemwechsel findet sich, wie erwähnt, in der Absicht, die Abwanderung aus der DDR zu stoppen. Die Überlegung, dass ein sehr schneller Übergang langwierige Verhandlungen, Auseinandersetzungen und – angesichts der Situation der DDR-Wirtschaft vermutlich teure – Zwischenlösungen vermelden hilft, dürfte eine Rolle gespielt haben.

Die Systemtransformation der DDR erfordert die Übertragung der zentralen Elemente der Marktwirtschaft, deswegen werden die Ziele bei der Herstellung der Wirtschaftsunion in hohem Maße durch funktionale Anforderungen geprägt. Dennoch zeigen sich entsprechend der verschiedenen politischen Grundrichtungen unterschiedliche Gewichtungen.

Das generelle Ziel besteht in der Transformation des DDR- Wirtschaftssystems in ein marktwirtschaftliches System, durch die Herstellung einer Wirtschafts- und Währungsunion, einer Sozialunion und der Schaffung der dafür notwendigen rechtlichen Voraussetzungen in der DDR.

Alle Schritte zur Herstellung des einheitlichen Wirtschaftsraums stellen Zwischenziele dar. Als rechtliche Form ist ein Staatsvertrag über die Regelungen des Übergangs und die Rechtsanpassungen in der DDR vorgesehen. Die Verhandlungen dazu zwischen den Regierungen sind praktisch abgeschlossen (Mai 1990).

Im westdeutschen Vertragsentwurf kommen die Prioritäten der Bundesregierung deutlich zum Ausdruck. Das hohe Tempo soll den DDR-Bürgern signalisieren, dass die Wirtschaftsunion und die Marktwirtschaft, und damit die Kaufkraft der DM und die Konvertibilität der Währung (Auslandsreisen), also die erhoffte Wohlstandssteigerung, kurz bevorstehen.

Aus ökonomischer Sicht sind beim Systemübergang folgende Zwischenziele für die DDR anzustreben:

– Abschaffung der planwirtschaftlichen Steuerungsmechanismen und umfassenden staatlichen Kompetenzen der Wirtschaftslenkung,
– Übernahme der für die Währungsunion notwendigen rechtlichen Regelungen. insbesondere Geldverfassung, 2-stufiges Bankensystem
– Übergang der Kompetenz für Geld- und Währungspolitik auf die Frankfurter Bundesbank
– Umstellung der Forderungen und Verbindlichkeiten des Bargelds und der Sparguthaben, sowie der Fließgrößen Löhne/Gehälter und Renten mittels entsprechender Umstellungskurse bei Übernahme der monetären Auslandsverpflichtungen der DDR
– technische und finanzielle Detailregelungen bei der Festlegung von Ausgleichsforderungen, Umstellungsfolgen für die Passiva/Kredite der Betriebe. Wegfall von Subventionen, Abdeckung von Haushaltsdefiziten, Aufnahme von Krediten für öffentliche Ausgaben
– Schaffung der ordnungspolitischen Voraussetzungen für marktwirtschaftliches unternehmerisches Handeln, vor allem: Eigentumsgarantie für privaten Besatz an Unternehmen wirtschaftliche Verfügungs- und Entscheidungsrechte für Individuen und (Unternehmen, Vertrags, Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit Berufsfreiheit, Wettbewerbsrecht und Preisfreiheit, Außenhandelsfreiheit
– Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie, d. h, ein marktwirtschaftliches Tarifrecht als Voraussetzung für eine (Markt-) Lohnfindung am Arbeitsmarkt zwischen den Tarifpartnern
– Aufbau eines beitragsorientierten dezentralen Systems sozialer Sicherung, Dynamisierung der bislang statischen Rentenermittlung
– Freigabe der bisher staatlich kontrollierten Preise zur Herstellung eines funktionierenden Preissystems, das Marktrelationen, reale Kosten und Knappheiten widerspiegelt
– stufenweiser Aufbau der weiteren Elemente/Voraussetzungen einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung, darunter:
– Einführung eines freien Kredit- und Kapitalmarktes
– Einführung einer Finanzverfassung und eines neuen Steuersystems zur Sicherung staatlicher Handlungsfähigkeit
– Modernisierung und Qualifizierung der öffentlichen Verwaltung, damit die Umstellung überhaupt bewältigt werden kann.

Die Prioritäten für die weitere praktische Politik ergeben sich aus der Notwendigkeit, Maßnahmen zur Lösung der realen produktionsökonomischen und. Finanz- bzw. haushaltstechnischen Probleme einzuleiten (vgl. Abschnitt 5).
Im Entwurf der Bundesregierung zum Staatsvertrag, der sich auf die Regelungen zur Übertragung der Marktwirtschaft auf die DDR konzentriert, kommen ihre ordnungspolitischen Leitsätze und Präferenzen gut zum Ausdruck, wie die folgenden Auszüge belegen:

Kapitel 1

Einführung der sozialen Marktwirtschaft; als wesentliche Elemente werden genannt: Privateigentum, Leistungswettbewerb, freie Preisbildung, Freizügigkeit von Arbeit, Gütern, Dienstleistungen und Kapital, freier Außenwirtschaftsverkehr, ausgewogene soziale Sicherung
Übernahme der westdeutschen Gesetze zum Währungs- und Geldwesen
Verpflichtung auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung der BRD; Sicherstellung von Vertrags- Gewerbe- und Berufsfreiheit, Freizügigkeit und Tarifautonomie
Außerkraftsetzung der DDR-Verfassung in Bezug auf die Grundlagen der sozialistischen Gesellschaftsordnung und der Landwirtschaft

Kapitel 2

Einführung des einheitlichen Währungsraumes; Übernahme des Bundesbankgesetzes , Umstellungskurse

Kapitel 3

wirtschaftspolitische Grundsätze, Verpflichtung der DDR auf die Ziele des Stabilitätsgesetzes, Schaffung der Rahmenbedingungen für die Entfaltung von Marktkräften und Privatinitiative (um den Strukturwandel/ die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Bildung von kleinen und mittleren Unternehmen, freie Berufe und den Schutz der Umwelt zu fördern

Kapitel 4

Bestimmungen über die Sozialgemeinschaft, Koalitionsfreiheit Tarifautonomie, Arbeitskampfrecht, Übernahme des westdeutschen Sozialversicherungsmodells

Kapitel 5

Übernahme der Struktur des BRD-Haushaltswesens schrittweise Einführung eines dem, BRD-Vorbild entsprechenden Steuersystems

Inhalt und Gliederung des Entwurfs zeigen, dass für Regierung bzw. die Koalitionsparteien in Bonn die Festschreibung der Marktwirtschaft – vor den ökonomischen Einzelproblemen – höchste Priorität besitzt. Entsprechend dieser politischen Grundhaltung werden vor allem die unternehmerischen Freiheiten, die private Initiative und die Eigentumsgarantie betont, weil sie als Mittel zur raschen Sanierung der DDR-Wirtschaft angesehen werden, Zur Lösung der ökonomischen Fragen setzt die Regierung auf den “Markt“. Die Sozialunion erhält einen eher nachrangigen Stellenwert, Fragen der Einkommenssicherung; der Verteilung der Folgelasten oder der Bereitstellung der massiv benötigten Infrastrukturmittel klammert der Entwurf aus.

Diese Ausrichtung entspricht weitgehend der der Unternehmensverbände, die Ziele wie die Privatisierung des kollektiven Eigentums, ein niedriges Lohnniveau, die Abschaffung des DDR-Gewerkschaftsgesetzes und die Entflechtung der Kombinate betonen Damit sollen gute Voraussetzungen für eine hohe Rentabilität von Investitionen in der DDR geschaffen werden. Ähnlich argumentiert der Sachverständigenrat.

Auch die SPD-West folgt ihrer politischen Grundhaltung. Sie fordert soziale Verbesserungen gegenüber dem Staatsvertragsentwurf (höhere Renten, Kompensationen für den geplanten Subventionsabbau, bei Mieten und Lebensmitteln günstigere Umstellungsbedingungen, bei Sparguthaben und mehr Rechte für Arbeitnehmer und Gewerkschaften. Die Folgelasten aus der DDR (Arbeitslosigkeit) und die Kosten in der BRD werden, nicht zuletzt wahltaktisch bedingt, hervorgehoben. In einem “Gegenentwurf” (vgl. FR v.8.5.90) nennt die SPD-Ost zusätzlich Ziele wie: Wegfall der unbeschränkten Eigentumsgarantie, Abschwächung der Orientierung an der “freien” Marktwirtschaft als Leitbild, dauerhafter Finanzausgleich und Sonderregelungen für den Agrarsektor.
Erkennbar wird, wie bei den Parteien bei der Setzung der Prioritäten die Orientierung an den eigenen Grundpositionen und an der Wählerklientel dominiert. Wie die großen ökonomischen Probleme wirtschafts- und finanzpolitisch angegangen werden sollen, bleibt offen.

Allerdings kommen auch die Empfehlungen der Wirtschaftsforschungsinstitute nicht über ordnungspolitische Ziele hinaus (DIW-Wochenbericht 6/90 Sie stellen jedoch ökonomische Handlungsbedarfe, z.B. die Freigabe der Preise und Löhne i den freien Kapitalmarkt, das Steuerrecht und die Reform des Geld- und Kreditwesens in den Vordergrund. Entgegen den Zielen der Regierung sehen sie in einer raschen Währungs- und Wirtschaftsunion keinen Vorteil. Ihrer Ansicht nach können die ökonomischen Probleme so nicht gelöst werden, Produktivitätsgefälle und Einkommensunterschiede bleiben auch mittelfristig bestehen, der Aufholprozess wird erschwert. Sie plädieren für einen schrittweisen Systemwechsel in der DDR. Ähnlich hatte auch die Bundesbank zeitweise argumentiert. Beide hatten aber für das Abwanderungsproblem keine Lösung anzubieten.

Die Ziele der DDR-Regierung, soweit sie aus der Regierungserklärung und den Verhandlungen zum Staatsvertrag hervorgehen, unterscheiden sich in Bezug auf die neue Wirtschaftsordnung nur marginal von denen der Bundesregierung. Die DDR-Regierung setzt allerdings andere Akzente in Bezug auf günstigere Umstellungsregelungen, die Bedingungen der Sozialunion, die Umstrukturierung der DDR-Wirtschaft, die Lösung der Eigentumsprobleme, die teilweise Streichung von Schulden der Betriebe und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Letzteres soll durch Sofortmaßnahmen in der Weiterbildung, Schutzregeln bei Kündigung, den Aufbau Arbeitsämtern, Arbeitsförderungsmaßnahmen und finanzielle Absicherungen unterstützt werden.

Betont werden die Einhaltung von Außenhandelsverträgen, der Schutz der Schwächeren durch den Staat und die Notwendigkeit von Infrastrukturinvestitionen, aber auch Schuczma!3nahmen für bestimmte Sektoren und die Abwehr von Spekulanten.

Kontroversen bei den Vertragsverhandlungen hat es vorwiegend über die Details der Umstellungsregelungen, das Ausmaß der sozialen Absicherung, bei der Eigentumsfrage (Erwerb durch ausländische Unternehmen) und die Haushaltsouveränität der DDR gegeben. Dass die DDR-Regierung bemüht, ihren Bürgern und Betrieben eine etwas günstigere Ausgangsposition – durch ein höheres Einkommens- und Rentenniveau zu verschaffen, ist selbstverständlich.
Die wesentliche Ziele der Wirtschaftspolitik in der BRD richten sich auf:

– Sicherstellung des immensen Finanzbedarfes (Schätzungen gehen bis zu 100 Mrd. DM p.a.
– Kostenminimierung bei den öffentlichen Haushalten (Regierung) zur Vermeidung höherer Haushaltsdefizite
– die Verhinderung möglicher Preissteigerungen und Zinserhöhungen (Bundesbank) vor dem Hintergrund der noch hohen Kapazitätsauslastung; Zielkonflikte zwischen Preisstabilität und den gewünschten Wachstumseffekten der Wirtschaftsunion sind möglich
– eine möglichst unmerkliche Lastenverteilung durch Finanzierung der Transformationskosten -soweit sie auf die Bundesrepublik zukommen – über Umschichtungen, Kreditaufnahmen und aus erwarteten Steuermehreinnahmen bzw. eine möglichst geringe eigene Belastung
– Teilabwälzung der Anschubfinanzierung auf Länder und Kommunen, und auf die Haushalte der Sozialversicherung (Bund).

Hier stehen meines Erachtens die eigentlichen Verteilungskonflikte noch bevor, wenn erst das Ausmaß der Gesamtkosten klar wird. Im Übrigen verfolgen alle Akteure im Rahmen der Union ihre partikulären politischen oder ökonomischen Interessen, um vor allem ihre verteilungsökonomische Lage zu stabilisieren oder zu verbessern.

Wie sich gezeigt hat, bringt der rasche Systemwechsel Zielkonflikte bei der Lösung der wirtschaftlichen Grundprobleme in der DDR mit sich. Die gewählte schnelle Union vergrößert – für eine längere Übergangsperiode – die Probleme und zwingt der DDR eine wirtschaftliche Rosskur auf. Die sozialen Kosten dieses Vorgehens sind: mögliche Realeinkommenseinbußen, hohe Arbeitslosigkeit und Kapitalentwertung. Sie drohen zu Lasten der DDR-Bürger zu gehen, wenn die Bundesregierung nicht zu massiven Finanztransfers bereit ist. Angesichts der bevorstehenden Wahlen ist nicht damit zu rechnen, dass man eine realistische Kostenrechnung aufmacht und die gesamten Kosten, soweit sie sich überhaupt schon absehen lassen, benennt.

Die öffentliche Debatte um die Umstellungskurse wird in ihrer ökonomischen Bedeutung überschätzt, denn Fließgrößen wie Preise, Mieten und Löhne werden nach dem Währungsschnitt einen schnellen kosten- und nachfrageorientierten Anpassungsprozess erfahren.

Letztlich bleibt auch der politische Konflikt zwischen Bundesregierung und Opposition begrenzt, weil keine reale Alternative aufgezeigt werden konnte, die die unerwünschte Einwanderung in die BRD hätte stoppen können.

5. Zusammenfassung und Ausblick

Insgesamt lässt sich zur Prioritätensetzung feststellen:

– eine Dominanz der ordnungspolitischen Ziele
– die Orientierung an ordoliberalen Zielvorstellungen zur Marktwirtschaft bei Bundesregierung und Koalition, ähnlich der Wirtschaft, hat sich durchgesetzt
– Rendite- und Verteilungsziele haben die Forderungen von Wirtschaft und Unternehmen bestimmt
– die Betonung von Zielen wie Einkommenssicherung, soziale Absicherung und Arbeitnehmerrechten bei SPD, Forderung nach gerechter Lastenverteilung in der BRD durch Finanzierungsmix steht hinten an
– die DDR konnte Teilerfolge in Bezug auf bessere Umstellungskurse erzielen (1:1 bei Löhnen und Renten, Erhöhung der Grenze bei Sparguthaben), und bei Möglichkeit der Kompensation bei sozialen Ungerechtigkeiten
– generell hat die Bundesregierung ihre Vorstellungen im Staatsvertrag realisieren können

Wirtschaftspolitisch hat sich eindeutig die westdeutsche Regierung durchgesetzt. Inwieweit das dahinterstehende Kalkül der Regierung aufgeht, muss abgewartet werden. Der Zielkonflikt zwischen sofortiger Wirtschaftsunion und der ökonomisch erforderlichen längeren Übergangsphase blieb unauflösbar, weil eine realistische Alternative nicht bestand.

Die Probleme, ökonomischen Folgen und Risiken der schnellen Union, die die Eingliederung nach Arte 23 GG praktisch vorwegnimmt, bleiben sehr hoch. Das betrifft folgende Bereiche, für die dringender wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf in der DDR besteht, denen ich eine hohe Priorität gebe:

1 Finanztransfers zur Finanzierung in den den Bereichen (Haushalt, Sozialversicherung, Infrastruktur, Schulden, Ausgleichsforderungen), Sicherstellung der notwendigen bundesdeutschen Finanzierung
2 Konkurrenzfähigkeit von DDR-Gütern; die rasche Herstellung der Außenwirtschaftsfreiheit und der Währungsparität setzt die DDR-Betriebe übergangslos dem Wettbewerb aus, mit noch kalkulierbaren Risiken, Immerhin hat die BRD zur Erlangung der Konvertibilität bis 1959 gebraucht. Bislang gehen zwei Drittel des DDR-Exports in RGW. Diese Güter sind auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig.
Eine schnelle Produktivitätserhöhung und Kostensenkung, also Rationalisierungs- und Modernisierungsinvestitionen in Produkt- und Prozessinnovationen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, bedürfen sehr hoher Mittelzuflüsse.
3 Betriebsschließungen und Arbeitslosigkeit
Mit vielen Konkursen und hoher Arbeitslosigkeit ist zu rechnen. Ob der erhoffte Gründungsboom kommt, weiß niemand.
4 Einkommens- und Wohlstandsgefälle und weitere Abwanderung: das Wohlstandsgefälle bleibt wohl wegen des anhaltenden Produktivitätsgefälles noch längere Zeit erhalten; weitere Abwanderungen sind zu erwarten. Offen ist, ob eine Kompensation für den Wegfall staatlicher Subventionen erfolgen kann (bei Mieten, Lebensmitteln und Konsumgütern)
5 Anreize für Investitionen privater Unternehmen in der DDR sind notwendig; ferner die Herstellung der Kreditwürdigkeit auf den westlichen Kapitalmärkten, zur Deckung der hohen Kapitalbedarfe für da e Modernisierung des veralteten Kapitalstocks. Es besteht die Gefahr, dass in der DDR sonst nur die Absatzmärkte gesehen werden.
6 Neue Formen von Organisation und Leitung, Rechnungswesen und Kalkulation, Zahlungs- und Kreditverkehr, Personalführung und Lohnfindung – um das alte Leitungssystem an eine dezentrale, betrieblich verantwortete Markt- und Kundenorientierung anzupassen
7 Dezentralisierung und Umstrukturierung der Verwaltungen
Im öffentlichen Sektor ist die Reform des Finanzwesens notwendig; um die Haushaltsdefizite zu verringern, die Finanzierung aus den Produktions- und Gewinnabgaben der Unternehmen durch ein modernes Steuersystem abzulösen. Die umfassende Subventionierung von Mieten, Lebensmittel- und Konsumgütern ist abzubauen. Außerdem besteht ein immenser Bedarf im Bereich der öffentlichen Infrastruktur (Verkehr, Umwelt, Kommunikation Energie und Umwelt, und Altlasten der Verschmutzung), der mittel- und langfristig zu decken ist

Hinweisen möchte ich auf die längerfristige wirtschaftspolitische Problemlage:
Den Wirtschaftsraum DDR als Teil eines vereinigten Deutschlands kennzeichnen regionalökonomische Indikatoren als peripheren, benachteiligten Raum mit einem erheblichem Entwicklungsrückstand, vergleichbar mit unterdurchschnittlich entwickelten westdeutschen Regionen:

– niedrige Löhne, Einkommen, Preise, Kaufkraft
– Infrastruktur, Kapitalstock unterentwickelt
– Modernitätsgrad, Produktivität niedrig, technologischer Rückstand
– überindustriealisierte Wirtschaftsstruktur
– zu erwarten ist eine nachteilige Unternehmens- und Konzernstruktur (Zentralen im Westen) mit der Gefahr, nur Werkbank und Zulieferstandort zu werden
– vermutlich zunächst schwaches Steueraufkommen, öffentlicher und private Finanzschwäche; hohem Verschuldungsgrad
– noch weitere Wanderungsverluste

Chancen bestehen in den möglichen Wettbewerbsvorteilen: zwar liegt die ostdeutsche Produktivität ca. nur bei 54 % der westdeutschen, dafür beträgt das durchschnittliche Lohnniveau bislang nur 1/3 des bundesdeutschen. Für den Markt in Osteuropa besitzt die DDR einen erheblichen Erschließungsvorsprung durch den vorhandenen umfangreichen Austausch im RGW.

Auf die Vorteile der wirtschaftlichen Einheit konnte im Rahmen des Themas nicht tiefer eingegangen werden, Es Ist aber zu erwarten, dass diese mittel- und langfristig die momentan extrem hoch erscheinenden Kosten (sicher weit über 1000 Mrd. DM) weit übersteigen. Außerdem hat auch im Zeichen eines vereinigten Europas die deutsche Einheit politisch, sozial und psychologisch betrachtet keinen Preis.

6. Weiterführende Literatur

Ahrns/Feser, Wirtschaftspolitik; 5. A., München 1989

Apolte, Th., Transformation des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems der DDR, in: Wirtschaftsdienst 1990/ IV, S. 188-193

Der Bonner Staatsvertrag. in: TAZ v. 20.4. 89, S. 7

Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute, Die wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik Deutschland, in: DIW-Wochenbericht 15/90, S. 190 ff.

Heine, M. / Herr, H., u.a. (Hrsg.), Die Zukunft der DDR-Wirtschaft, Hamburg 1990

Kromphardt, J., Über eine Wirtschaftsunion zur Währungsunion, in Wirtschaftsdienst 3/1990; S. 128-132

Lampert, H., Die Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland, (8.A., München/ Wien 1985

Necker, T., Ein Fünf-Stufen-Plan für die Wirtschafts- und Währungsunion, in: Wirtschaftsdienst 1090/II. S. 58-63

Müller, K., Geld- und währungspolitische Aspekte der Wirtschaftsreform, in: Wirtschaftsdienst 1990/11, S. 65-68

Reform der Wirtschaftsordnung in der DDR und die Aufgaben der Bundesrepublik, in: DIW-Wochenbericht, 6/90, S. 65-71